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Trabantenparteitage (TPT): Beitrag der PIRATEN Thüringen zur Diskussion rund um die ständige Mitgliederversammlung (SMV)

Abstimmung beim Landesparteitag 13.1

Am vergangenen Wochenende hatte die Piratenpartei ihren ersten Parteitag im Jahr 2013. Dabei wurde das Wahlprogramm aufgestellt und einige Teile der Partei neu geregelt. Eine der wichtigsten Diskussionen auf diesem Parteitag war aber die Debatte rund um die ständige Mitgliederversammlung.
Die ständige Mitgliederversammlung ist dabei die Möglichkeit der Mitglieder, auch zwischen den Parteitagen über verschiedene Anträge abzustimmen. Denn Politik braucht z.T. schnelle Entscheidungen. Dies ist ein häufiges Argument gegen plebiszitäre und basisdemokratische Elemente in der Politik. Die Piraten wollen diesen Widerspruch aufheben und eine Möglichkeit schaffen, schnell und verbindlich Entscheidungen der jeweiligen Basis einzuholen. Dabei haben sich in den letzten Jahren viele verschiedene Herangehensweisen und Konzepte entwickelt. Eine der interessantesten Möglichkeiten ist dabei natürlich die Möglichkeit, dies über das Internet direkt und von zuhause aus zu tun.
Dabei ist es aber sehr schwer bzw. unmöglich, ein solches System sicher gegen Angriffe zu rüsten. Denn im Falle eines Angriffs hätte ein Mensch die Möglichkeit, die Entscheidung einer ganzen Partei zu beeinflussen. Diese Möglichkeit darf natürlich nicht gegeben sein. Dabei darf die Hürde für den Angreifer jedoch nicht technischer sondern muss konzeptioneller Natur sein. Denn Technik lässt sich über kurz oder lang immer austricksen. Aus diesem Grund haben sich die Piraten auch immer gegen Wahlcomputer ausgesprochen.

Es gibt bis jetzt nur eine Möglichkeit dieses Problem zu umgehen. Dabei wird das Wahlgeheimnis aufgehoben und die Abstimmung veröffentlicht. Das heißt, wenn jemand eine Stimme manipuliert, kann das vom Mitglied eingesehen werden. Dafür muss aber jedem auch die Stimme der anderen Teilnehmer mitgeteilt werden, da ein Angreifer sonst jedem einzelnen seine Stimme korrekt anzeigt, aber z.B. falsch zusammenrechnet.

Diese Variante ist für die meisten, vorerst innerparteilichen, Abstimmungen aber kein Problem. So sind auf einem Parteitag sogar die allermeisten Abstimmungen offen, das heißt, jeder kann überprüfen, wie die anderen stimmen. Da in der Piratenpartei Meinungspluralismus gefördert und gelebt wird, stellt das auch meist kein Problem dar. Bei einigen besonders umstrittenen Entscheidungen benötigt ein Parteitag jedoch die Möglichkeit einer geheimen Abstimmung, worauf er dann auch zurückgreift. Genauso müssen Personalentscheidungen, z.B. Wahlen, immer geheim sein. Also kann die SMV auch hier die Geschwindigkeit der Entscheidung nicht beschleunigen. Von Satzungsänderungen etc. ganz abgesehen, wo es auch zu Schwierigkeiten kommen kann. Für solche Entscheidungen hat sich die Papierwahl, also das Ankreuzen von Zetteln bei definierten Wahlurnen, bewährt.

Eine elektronische SMV muss also in Grenzfällen auf ein anderes System delegieren. Eine Möglichkeit wäre der klassische Parteitag. Aber auch diese Variante hat Schwierigkeiten. Darunter fällt z.B. die geringe Häufigkeit dieser Parteitage, was also Entscheidungen, z.B. eben geheime Abstimmungen aus dem elektronischen System, ggf. sehr verzögern kann. Diese scheinbar fehlende Möglichkeit war auch für viele Piraten ein Grund, gegen die Anträge des vergangenen Wochenendes zu stimmen. Es fehlt also ggf. ein „Backend“, auf das eine elektronische SMV delegieren kann, um geheime Abstimmungen durchzuführen.
Dafür wurden dann z.B. verteilte Parteitage und dezentral aufgestellte Wahlurnen diskutiert. Diese Methode basiert darauf, dass ein Parteitag zum selben Zeitpunkt, selbstverständlich im Rahmen der allgemeinen Relativitätstheorie, an verschiedenen Orten stattfindet und das Ergebnis dabei lokal via Stimmzettel ermittelt und dann zusammengerechnet wird. Bei einer angenommen Anzahl von 20 Lokalitäten würde dies die Fahrt- und Übernachtungskosten der Mitglieder, den Organisationsaufwand vor Ort und die Kosten für die Gesamtveranstaltung deutlich senken. Durch das Sparen von Ressourcen, also Zeit, Geld und Arbeit, könnte die Häufigkeit der Parteitage nach oben korrigiert werden. Dies würde den Druck im Antragsportal deutlich minimieren, da viel mehr behandelt werden kann. Auch könnte eine elektronische SMV in dieses Gremium delegieren. Aber leider hat auch diese Variante einige Nachteile. So muss z.B. die Versammlung angehalten werden, wenn eine Stelle ausfällt. Bei angenommenen 100, 200 oder sogar 300 Lokalen wäre so ein Parteitag kaum durchführbar.

Die PIRATEN Thüringen haben eine Möglichkeit erarbeitet, die als Backend für die digitale SMV dienen, die Anzahl der Parteitage deutlich steigern und geheime Abstimmungen ermöglichen kann. Dieser Vorschlag ist mit dem dezentralen Parteitag verwandt und wird zur Abgrenzung Trabantenparteitag (TPT) genannt. Dabei wird der Bundesparteitag wie auch schon jetzt durchgeführt. Dieser Parteitag findet an einem Ort statt und zu diesem Ort wird auch eingeladen. An diesem Ort befindet sich dann die Versammlungsleitung, hier werden z.B. GO-Anträge angenommen, hier stehen die Saal-Mikros für die Debatte.
Dabei existieren neben dem eigentlichen Hauptraum noch andere Räume, die mit einer Urne versorgt sind (zum letzten BPT „Wanderurne“ genannt), z.B. der Pressebereich, die Akkreditierung oder der Rost (für Nichtthüringer: „Grill“) vor der Halle. Nun werden diese Wanderurnen nicht mehr 50m sondern 500km entfernt aufgestellt.

Mit diesem einfachen Setting lässt sich ein robustes System implementieren, da es keinen garantierten Rückkanal gibt und die Möglichkeit der Abstimmung nur im Saal garantiert wird. Natürlich steht es jedem frei, eigene Rückkanäle zu definieren, im einfachsten Fall einen einfachen Chat, die aber nicht garantiert werden, also bei Ausfall kein Problem darstellen. Die Teilnehmer im Trabanten können einen z.B. GO-Antrag nur einreichen, wenn sie vor die Versammlungsleitung treten, welche ggf. hunderte Kilometer entfernt ist. Dadurch werden die Rechte der Mitglieder bzgl. des Parteitages für die Teilnehmer der Trabanten de facto eingeschränkt (deswegen auch kein dezentraler Parteitag, sondern Trabanten die um das Zentrum „kreisen“). Durch das Fehlen der garantierten Rückkanäle ist ein solcher Parteitag deutlich robuster gegen Störungen. Wenn ein Lokal ausfällt (alle elektronischen Verbindungen reißen ab), kann so der Parteitag immer noch weitergeführt werden, da die Abgabe im Trabantenlokal nicht garantiert wird. Natürlich sollte dies nicht eintreten, aber ist eben einberechnet.
Wenn ein Mitglied die vollen Rechte in Anspruch nehmen möchte, was jedoch auch auf einem BPT die absolute Minderheit ist, hat sie mit dem Hauptlokal immer diese Möglichkeit. Die Trabanten geben aber den Mitgliedern zumindest die Möglichkeit, mit abzustimmen. Dabei kann der TPT natürlich auch offene Abstimmungen abbilden. Der Vorteil dieser Methode ist dabei zusätzlich, dass im Prinzip keine Satzungsänderungen nötig sind, da dies ein normaler Parteitag ist, nur dass die Urnen etwas weiter weg stehen. Die Annahme des SÄA003 am vergangenen Parteitag macht dabei die Planung natürlich deutlich einfacher. Die Details sind am Anfang dieses Blogposts (www.machmaldieaugenauf.de/2013/02/04/unser-konzept-fur-den-dkpt-gotha/) diskutiert. Dabei gibt es neben diesen Beschreibungen auch sehr viele kleinere Punkte die im Vorfeld geklärt wurden. Sobald das Konzept erfolgreich getestet ist, werden dazu die entsprechenden Veröffentlichungen folgen.

Dieses Konzept kann nicht alle Nachteile eines klassischen Parteitages eliminieren, aber es kann die Not aus einigen aktuellen Problemen nehmen. So kann es als Backend für die SMV dienen, vor allem kann so aber verbindlich und unproblematisch der Antragsstau gelöst werden. Es würde die Kosten (an Zeit und Geld) für die Mitglieder deutlich reduzieren und so viel mehr Teilhabe ermöglichen.
Soweit zur Theorie. In Thüringen gilt aber: Wer seinen Senf dazugeben will, muss ’ne Wurst mitbringen.
Die Gothaer PIRATEN haben einen ersten TPT nach obigem Konzept am 9. März 2013 durchgeführt. Dabei wurden für den Nachgang alle möglichen Klagen vor der internen Schiedsgerichtsbarkeit vorbereitet. Bemerkenswerterweise ist auf diesem ersten Test zufälligerweise beim letzten Antrag tatsächlich das Internet des ca. 10 m entfernten Trabanten ausgefallen. Bedauerlicherweise konnte durch den Wahlleiter die Verbindung nicht wieder hergestellt werden. Die Abstimmung wurde also ohne den Trabanten durchgeführt. Noch viel bemerkenswerter ist, dass die Abstimmung so knapp ausgegangen ist, dass der Trabant entscheidend gewesen wäre. Auch dies wurde durch eine Klage sofort angekreidet, kann also zum Test herangezogen werden. In den kommenden Monaten werden mehrere weitere Versuche durchgeführt, unter anderem im Kreisverband Ilmkreis und vermutlich auch in Dresden. Dort werden dann die Herausforderungen etwas höher liegen als in Gotha, vor allem in Hinblick auf die qua Satzung neu gegebenen Regeln.
So diese Tests, vor allem vor den Schiedsgerichten und auch der ordentlichen Gerichtsbarkeit, erfolgreich laufen, wird auch die Einführung für den Landesparteitag diskutiert.
Am 13. Mai 2013, also gestern, wurde die erste Anhörung dazu vor dem Landesschiedsgericht durchgeführt. Dabei wurden sowohl die Kläger- als auch die Beklagtenseite und drei Zeugen angehört. Neue Erkenntnisse sollten jetzt also dem Landesschiedsgericht vorliegen, welches dann in Bälde ein Urteil fällen wird.

All dies erscheint relativ aufwendig und kompliziert für die innerparteiliche Meinungsfindung. Jedoch möchten wir anmerken, dass die PIRATEN all diese Überlegung nicht nur für ihre eigenen Beschlussfindung erproben, sondern auch für andere Parteien oder sogar dafür, die plebiszitären Elemente unserer Demokratie weiterzuentwickeln. Wir haben also nicht nur unser Wahlprogramm, sondern auch die Gesetze dieses Landes im Blick. Aus diesem Grunde sind die Piraten sehr vorsichtig und versuchen eine umfassende Risikoanalyse durchzuführen. Die PIRATEN Thüringen möchten mit dem Test dieser Beteiligungsform des TPTs für die Piratenpartei, die konkurrierenden Parteien, aber auch die Demokratie an sich ihren Beitrag leisten.
PIRATEN Thüringen