Artikel Piratengedanken

Piratengedanken: Beschneidung des Kindeswohls

Grundgesetz

Die Aktion “Piratengedanken” ermöglicht es jedem Pirat seine Gedanken zu einem Thema seiner Wahl zu veröffentlichen. Diese Ausführungen sind keine Aussagen der Piratenpartei oder der PIRATEN Thüringen. Es handelt sich lediglich um Einzelmeinungen von Mitgliedern. **********************************************

Beschneidung des Kindeswohls

Das Grundgesetz ist keine Verhandlungssache

Demokratie braucht auch den Mut, sich unbequemen Fragen zu stellen. Die Thüringer Landesregierung agiert derzeit allerdings eher zurückhaltend und inkonsequent, da sich „Thüringen in der Diskussion über das Beschneidungsverbot noch nicht eindeutig positionieren“ will und der Sprecher des Justizministeriums äußert: „Wir finden den Berliner Standpunkt interessant, prüfen aber derzeit noch das weitere Vorgehen“.
Dass hierbei gerade das Justizministerium versucht, einen allgemein anerkannten rechtstaatlichen Konsens auszuhebeln, indem es per Dienstanweisung Staatsanwälten anweisen will, strafrechtlich relevante Vorgänge nicht zu verfolgen, ist skandalös. Es geht dabei – wieder einmal – um nichts Geringeres als das Grundgesetz.

Die von dem Berliner Justizsenator Thomas Heilmann initiierte Berliner Regelung sagt aus:
„Nicht strafbar sind religiöse Beschneidungen demnach, wenn beide Elternteile oder Sorgeberechtigte schriftlich eingewilligt haben. Zuvor müssen sie über die gesundheitlichen Risiken aufgeklärt werden. Eine weitere Voraussetzung ist, dass die Eltern die religiöse Motivation und Notwendigkeit einer Beschneidung nachweisen, die vor der Religionsmündigkeit des Kindes stattfindet. Dies kann durch einen Passus in der Einwilligungserklärung oder mit Hilfe eines Vordrucks einer Religionsgemeinschaft erfolgen.“[1]

Damit verstösst der Berliner Senat wissentlich gegen den Artikel 2 des Grundgesetzes, der jedem die körperliche Unversehrtheit garantiert. Die Mütter und Väter des Grundgesetzes haben diesem Artikel nicht ohne Grund einen Spitzenplatz eingeräumt, da sie die dort formulierten Menschenrechte vorrangig vor anderen geschützt sehen wollten. Die Freiheit des Glaubens wird dadurch nicht, wie gern behauptet, eingeschränkt. Glauben ist eine geistige und keine körperliche Größe.

Die in Art. 4 GG geschützte Glaubensfreiheit, die Freiheit des religiösen Bekenntnisses und die Gewährleistung der ungestörten Religionsausübung ist und bleibt in unserer Gesellschaft ein hohes Gut. Diese Rechte können sich jedoch immer nur auf eine mündige und bewusst handelnde Person beziehen. Ein Glaubensbekenntnis kann nicht in Stellvertretung für jemand anderen abgegeben werden, ohne dessen Rechte aus Art. 2 GG einzuschränken. Gleichermaßen kann auch das in Art. 6 GG verbriefte natürliche Recht der Eltern über die „Pflege und Erziehung der Kinder“ als „die zuvörderst ihnen obliegende Pflicht“ den Eltern nicht das Recht einräumen, sich gegen die körperliche Unversehrtheit ihres Kindes zu vergehen. Dies war – zumindest bisher – allgemeiner Konsens einer säkularen und am Kindeswohl orientierten Gesellschaft.

Es entspricht nicht der Wahrheit, wenn Vertreter religiöser Institutionen auf der angeblichen Unabdingbarkeit der Beschneidung von Säuglingen und Kleinkindern beharren. Richtig ist vielmehr, dass das Ritual der Beschneidung auch im Judentum und Islam nicht wenige Kritiker hat, in Reformgemeinden nicht oder nur symbolisch ausgeübt oder auf ein Alter verschoben wird, in dem die Kinder selbst entscheiden können.

Mit der Beschneidung wird dem Kind nicht nur eine irreparable körperliche Beschädigung zugefügt, sondern eine Glaubensentscheidung vorweggenommen, über die das Kind erst in einem sehr viel späteren Alter in der Lage ist, selbstbestimmt und frei zu entscheiden. In einem unserer Nachbarländer wird diese Problematik schon viel deutlicher wahrgenommen, so heißt es doch in der Schweizer Bundesverfassung in Art. 15 Abs. 4:
„Niemand darf gezwungen werden, einer Religionsgemeinschaft beizutreten oder anzugehören, eine religiöse Handlung vorzunehmen oder religiösem Unterricht zu folgen.“
Genau dies geschieht jedoch, wenn man einem Kind, das noch keinen eigenen Willen erklären kann, auf eine so schmerzliche Art und Weise die Sitten und Gebräuche einer bestimmten Religion aufoktroyiert.

Es ist merkwürdig genug, dass man nun die Bundesregierung und die Justizminister der Länder an die bereits 1992 von Deutschland ratifizierte UN-Kinderrechtskonvention erinnern muss, in der es heißt:
„Die Vertragsstaaten treffen alle wirksamen und geeigneten Maßnahmen, um überlieferte Bräuche, die für die Gesundheit der Kinder schädlich sind, abzuschaffen.“ (Art. 24, Abs. 3) [2]
Der UN-Ausschuss über die Rechte des Kindes stellt in seinen „General Comment“ zur UN-Kinderrechtskonvention außerdem deutlich genug fest:
„Der Ausschuss hat durchgängig die Position vertreten, dass jede Form von Gewalt gegen das Kind – wie geringfügig auch immer sie sein mag – inakzeptabel ist. Die Formulierung
«das Kind vor jeder Form körperlicher oder psychischer Gewaltanwendung … schützen»
lässt keinen Spielraum für irgendeine Art legalisierter Gewalt gegen das Kind.“
Und weiter: „Definitionen von Gewalt dürfen unter keinen Umständen das fundamentale Recht des Kindes auf menschliche Würde und auf körperliche und seelische Integrität untergraben, indem gewisse Formen von Gewalt als gesetzlich und/oder sozial zulässig beschrieben werden.“[3]

Angesichts der klaren Vorgaben des Grundgesetzes und internationaler Bestimmungen, die dem Kindeswohl gegenüber anderen Rechten eine ausdrückliche Priorität einräumen, bleibt Beschneidung ein Straftatbestand. Kinder sind immer das höchste Gut einer Gesellschaft. Die faktische Körperverletzung von Kindern aufgrund religiöser Vorstellungen kann nicht toleriert werden. Es bleibt eine allgemeine gesellschaftliche Aufgabe, diesen Anspruch im Dialog mit den verschiedenen Religionsgemeinschaften auf der Basis gegenseitigen Respekts zu erläutern.

Anweisungen aus dem Justizministerium, die Strafverfolgung auszusetzen, würde grundlegende Menschenrechte, die UN-Kinderrechtskonvention und nicht zuletzt das Grundgesetz Artikel 2 eklatant verletzen. Eine so fundamentale Rechtsbeugung ist nicht hinnehmbar.

Autoren: Andreas Kaßbohm, Henry Gießwein, Frank Cebulla
Unterstützer: Klaus Sommerfeld, Klaus Lütkenhues , Sebastian Beitlich, Andreas Jacob, Daniel Tschada, Bernd Schreiner, Christian Benad, Kai Felske, Harald Maedl, Joachim Mos, Florian Böhm

[1] http://www.dw.de/dw/article/0,,16221486,00.html
[2] http://www.auswaertiges-amt.de/cae/servlet/contentblob/358176/publicationFile/3609/UNkonvKinder1.pdf
[3] UN-Ausschuss über die Rechte des Kindes, General Comments Nr. 13 zu Art.19 der UN-Kinderrechtskonvention, http://kinderschutz.ch/cmsn/files/120521_GC_13_d_light.pdf