Artikel Piratengedanken Selbstbestimmtes Leben

Piratengedanken: In verschiedenen Welten

Die Aktion „Piratengedanken“ ermöglicht es jedem Pirat seine Gedanken zu einem Thema seiner Wahl zu veröffentlichen. Diese Ausführungen sind keine Aussagen der Piratenpartei oder der PIRATEN Thüringen. Es handelt sich lediglich um Einzelmeinungen von Mitgliedern.
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Die Frei­heit, die Dro­gen und die CDU

Die Pira­ten laden ein. Zu einer Podi­ums­dis­kus­sion zum Thema „Dro­gen” ins Erfur­ter Café Nerly. Gekom­men sind fast nur Pira­ten, einige wenige Bür­ger. Das Thema scheint erstaun­li­cher­weise an der Gesell­schaft vor­bei zu gehen. Oder an der Presse, die zwar jede Aus­stel­lung eines Kanin­chen­züch­ter­ver­eins ankün­digt, diese Ver­an­stal­tung aber links lie­gen läßt. Auch per­sön­lich, denn Jour­na­lis­ten und Medien jed­we­der Art glän­zen durch Abwesenheit.

Dabei ist das Podium mit inter­es­san­ten Gäs­ten besetzt: Frank Tem­pel (MdB), dro­gen­po­li­ti­scher Spre­cher der Par­tei Die Linke und immer­hin ehe­ma­li­ger Kri­mi­nal­po­li­zist – Fabian Hoff, Koor­di­na­tor der AG Dro­gen­po­li­tik der Pira­ten­par­tei – Michael Hose, Vor­sit­zen­der der Jun­gen Union Erfurt. Im Publi­kum sitzt außer­dem die stell­ver­tre­tende Vor­sit­zende des Thü­rin­ger Land­tags Dr. Bir­git Klau­bert. Dro­gen, Dro­gen­po­li­tik, Dro­gen in der Gesell­schaft – das Thema ist nicht näher ein­ge­grenzt, allen dürfte die Pro­ble­ma­tik klar sein. Die Mode­ra­to­rin des Abends Svea Geske (Radio Lotte) gibt sich Mühe, mit Schwung eine kon­tro­verse Dis­kus­sion in Gang zu brin­gen und die Posi­tio­nen und Denk­an­sätze ihrer Gäste auf dem Podium her­aus zu kris­tal­li­sie­ren. Neben­bei gesagt, auch Radio Lotte ist medi­en­tech­nisch nicht anwe­send, über­trägt nicht, zeich­net nicht auf, hat offen­bar kein Interesse.

Podiumsdiskussion Drogenpolitik

Es fol­gen fast drei Stun­den ange­regte Dis­kus­sion, die an nicht weni­gen Stel­len etwas aus dem Ruder gerät. Je län­ger State­ments aus­ge­tauscht wer­den, umso kla­rer bil­den sich zwei Fron­ten her­aus: Pira­ten und Linke auf der einen Seite, der Ver­tre­ter der Jun­gen Union auf der ande­ren Seite. So über­ra­schend ist das natür­lich nicht. Frank Tem­pel glänzt durch Fach­wis­sen und zitiert Stu­dien, führt Bei­spiele einer libe­ra­len Dro­gen­po­li­tik (Hol­land, Por­tu­gal) an und berich­tet von sei­nen Erfah­run­gen bei poli­zei­li­chen Ermitt­lun­gen im Dro­gen­mi­lieu. Er über­zeugt durch eine dif­fe­ren­zierte Ein­stel­lung zur Pro­ble­ma­tik der Sucht, der sei­ner Mei­nung nach mit gesell­schaft­li­cher Repres­sion nicht bei­zu­kom­men ist, son­dern nur mit Prä­ven­tion und Auf­klä­rung. Etwas stil­ler und damit auch etwas lang­wei­li­ger kommt Fabian Hoff daher. Er bezieht sich vor allem auf medi­zi­ni­sche Anwen­dun­gen von Can­na­bis, auf Sucht unter dem Gesichts­punkt der Krank­heit, die behan­delt wer­den muss, natür­lich ebenso auf den Gedan­ken der Vor­beu­gung. Pirat und Lin­ker sind sich einig, dass es über kurz oder lang auf eine Lega­li­sie­rung zumin­dest „wei­cher” Dro­gen hin­aus­lau­fen muss, um die gra­vie­rends­ten Pro­bleme in der Gesell­schaft in den Griff zu bekom­men und einen wirk­li­chen Schritt nach vorn zu tun.

Das eigent­li­che Phä­no­men des Abends – für mich – ist jedoch Michael Hose. Er setzt sich selbst­be­wußt, elo­quent und rede­ge­wandt in Szene. Sicher war ihm auch vor­her klar, dass er sich irgend­wie in die sprich­wört­li­che Höhle des Löwen begibt. Doch das eigent­li­che Pro­blem in sei­ner Per­son besteht darin, dass er aus einer Par­al­lel­welt her­aus agiert und argu­men­tiert. Er ist Licht­jahre von der Welt der ande­ren Dis­ku­tan­ten ent­fernt. Alles was er vor­trägt, klingt in mei­nen Ohren ent­we­der blau­äu­gig und naiv oder regel­recht anti­quiert. Seine State­ments sind so gest­rig, dass einem schau­dert. Ich staune, dass es letzt­end­lich gar nicht um den Aus­tausch unter­schied­li­cher Argu­mente geht, um ver­schie­dene Sicht­wei­sen oder Lösungs­an­sätze – es geht im Grunde genom­men um ein völ­lig ande­res Welt– und Men­schen­bild.

Das Men­schen­bild die­ses jun­gen Man­nes von der CDU basiert – sicher­lich christ­lich geprägt – auf Schuld und Sühne. Den mensch­li­chen Lei­den­schaf­ten, Wün­schen und Schwä­chen ist nur mit Ein­schrän­kung, Unter­drü­ckung und mora­li­schen Vor­ga­ben bei­zu­kom­men. Die Lieb­lings­worte des Michael Hose an die­sem Abend sind daher fol­ge­rich­tig: Ver­bot, Repres­sion, Ahn­den, Strafe. Ich passe genau auf, aber er nimmt die Worte Infor­ma­tion und Bil­dung nicht in den Mund – erst ganz zum Schluss, nach­dem seine Kon­tra­hen­ten vehe­ment auf Auf­klä­rung und Prä­ven­tion her­um­ge­rit­ten sind, läßt er sich herab und fin­det Prä­ven­tion „auch wich­tig”. Ich bin über­zeugt davon, dass er dar­un­ter etwas völ­lig ande­res ver­steht als alle ande­ren im Saal. Wahr­schein­lich irgend­et­was zwi­schen mehr Poli­zei und abschre­cken­den Jun­kie­ge­schich­ten im Unter­richt. Er nimmt die Worte Infor­ma­tion und Bil­dung nicht in den Mund und ist – Leh­rer und Päd­agoge. Ebenso fol­ge­rich­tig möchte er auf dem Schul­hof bei Dro­gen­vor­fäl­len die Poli­zei ein­schal­ten, auf Klas­sen­fahr­ten Schü­ler umge­hend nach Hause schi­cken, keine Kom­pro­misse machen, ein­schrei­ten usw. Mich schüt­telt es inner­lich. Seine Päd­ago­gik ist genauso gest­rig wie seine Ansich­ten zu Dro­gen. Selbst­ver­ständ­lich hat er selbst nie wel­che genom­men, wie er betont, nun ja Alko­hol wohl doch. Da ist „lei­der der Zug abge­fah­ren”, am liebs­ten würde er ver­mut­lich auch noch Alko­hol und Rau­chen ver­bie­ten, aber das würde dann doch einen zu gro­ßen Wäh­ler­ver­lust pro­vo­zie­ren. Als Zuhö­rer war­tet man instink­tiv dar­auf, dass er die Ein­füh­rung der Prü­gel­strafe für Schü­ler for­dert, die er beim Kif­fen erwischt.

Auch die ande­ren win­den sich auf Svea Ges­kes Frage, wie sie denn per­sön­lich zu Dro­gen ste­hen und ant­wor­ten aus­wei­chend. Schade, in einem Klima der Ille­ga­li­tät und Kri­mi­na­li­sie­rung traut sich wohl nie­mand ehr­lich zu sein. Einer älte­ren Bür­ge­rin im Roll­stuhl platzt schließ­lich der Kra­gen und sie zieht ordent­lich vom Leder. Wirft Herrn Hose vor, von der Rea­li­tät keine Ahnung zu haben und spricht von ihrer über zehn­jäh­ri­gen (ille­ga­len) Anwen­dung von Can­na­bis zur Schmerz­the­ra­pie. For­dert Michael Hose her­aus, sie doch anzu­zei­gen oder als kri­mi­nell zu bezeich­nen. Michael Hose weicht aus. Man könnte anneh­men, dass er allein aus der Anwe­sen­heit die­ser Frau Schlüsse zie­hen und seine Ansich­ten ändern müsste. Aber nichts der­glei­chen geschieht.

Es gibt mitt­ler­weile Zwi­schen­rufe und pro­vo­zie­rende Mei­nungs­äu­ße­run­gen aus dem Publi­kum. Michael Hose fühlt sich ange­grif­fen und for­dert mehr Höf­lich­keit. Mir kommt er lang­sam vor wie ein Vege­ta­rier, der gegen die Sünde des Fleisch­ge­nus­ses wet­tert, aber nie selbst wel­ches geges­sen hat. Frank Tem­pel ver­sucht ihm etwas ent­ge­gen­zu­kom­men und ver­steigt sich zu der Aus­sage, dass es nichts gibt, das „diese Sub­stan­zen ein­fach so zum Ver­schwin­den brin­gen wird”. Das ist dann aller­dings genauso absurd. Liegt doch das Pro­blem immer im Span­nungs­feld zwi­schen Genuß und Miß­brauch. Es wird immer Men­schen geben, die aus den unter­schied­lichs­ten Grün­den aus einem selbst­be­stimm­ten und ver­ant­wor­tungs­vol­len Gebrauch in den Miß­brauch rut­schen. Diese Men­schen benö­ti­gen Hilfe jed­we­der Art, gewiß aber keine Ver­bote. Ich melde mich und merke an, dass psy­cho­trope Pflan­zen und Sub­stan­zen auch einen gro­ßen Gewinn an Lebens­qua­li­tät bedeu­ten kön­nen und das nicht nur im Sinne der Schmer­zaus­schal­tung wie bei der Dame im Roll­stuhl. Sie kön­nen das Bewußt­sein erwei­tern, rei­che sinn­li­che Erfah­run­gen ver­mit­teln, Genuß, Lebens­freude und Selbst­er­kennt­nis schen­ken. Wer das aus grund­sätz­li­chen Erwä­gun­gen unter­drü­cken und ver­bie­ten will, ist lebens­fern und es stellt sich die Frage, in was für einer Gesell­schaft ein Herr Hose über­haupt leben will. Mir ist das schlei­er­haft, den meis­ten ande­ren Zuhö­rern im Saal ver­mut­lich auch. Michael Hose meint, dass es kein „Recht auf Rausch” gibt. Warum nicht? Ant­wort: weil das Bun­des­ver­fas­sungs­ge­richt es ver­neint hat. Was möchte denn Herr Hose mit 4 Mil­lio­nen Can­na­bis­kon­su­men­ten in die­sem Land machen, die sich die­ses Recht ein­fach neh­men? In Arbeits­la­ger sper­ren und umer­zie­hen? In mir macht sich eine Mischung aus Sar­kas­mus, gluck­sen­dem Lachen und Ver­zweif­lung breit.

Michael Hose, der Mann von einem ande­ren Stern, spricht an die­sem Abend selbst­ver­ständ­lich auch nicht über Frei­heit. Über die Frei­heit jedes Men­schen, über sich selbst, sei­nen Kör­per und sein Leben zu bestim­men, über das Recht auf Ent­fal­tung der eige­nen Per­sön­lich­keit, über unter­schied­li­che, aber gleich­be­rech­tigte Lebens­ent­würfe, über die Viel­falt und Viel­far­big­keit des Lebens, über Kin­der und Jugend­li­che, die ihre Gren­zen tes­ten und erwei­tern wol­len, über die Lust am Sein und am Aus­pro­bie­ren, über die Neu­gier und die Erkennt­nis. Er kann dar­über nicht spre­chen, denn es scheint ihm gänz­lich fremd und nicht Bestand­teil sei­nes Welt­bilds zu sein. Man möchte ihm mit Oscar Wilde zuru­fen: „Moral ist immer die letzte Zuflucht von Leu­ten, die die Schön­heit nicht begreifen.”

Als Frank Tem­pel zum Schluss etwas ver­klau­su­liert davon berich­tet, dass seine Argu­mente in sei­ner eige­nen Par­tei nicht sel­ten auch auf Wider­stand und Unver­ständ­nis stos­sen und noch viel Über­zeu­gungs­ar­beit von­nö­ten ist, steht mir plötz­lich erstaun­lich klar vor Augen: es sind in der Tat wie­der ein­mal nur die Pira­ten, die hier die ein­zige echte Alter­na­tive bie­ten und die Mög­lich­keit, aus­ge­tre­tene Pfade zu ver­las­sen und in der Gesell­schaft einen wirk­li­chen Wand­lungs­pro­zess ein­zu­lei­ten und vor­an­zu­trei­ben. Wie bei vie­len ande­ren The­men frage ich mich aller­dings, ob uns Pira­ten bewußt ist, wie­viele Hoff­nun­gen an uns hängen?

Autor:  Frank Cebulla

 

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