Jena Staat und Demokratie

Stadtrat Jena 21.08.2024: Eröffnung der Feindseligkeiten

Rathaus Jena, dahinter das "der Turm" genannte Hochhaus

Nein, eine Koalition mit Koalitionsvertrag werde es im Jenaer Stadtrat nicht geben, erklärte der Oberbürgermeister Thomas Nitzsche der Piraten-verstärkten Linke-Fraktion vorab, sichtlich bemüht, den Unmut einzuhegen. Er hat das Recht, die stärkste Fraktion auszugrenzen – und möchte dafür nicht öffentlich kritisiert werden. Die Nicht-Koalition aus FDP, CDU. Grünen und SPD nannte er „Verantwortungsgemeinschaft“. Für Phrasen hatte er schon immer ein Talent.

Die Sitzung beginnt mit Formalitäten: Vereidigungen und Verabschiedungen. Für die Dezernenten Eberhard Hertzsch und Benjamin Koppe ist es die letzte Sitzung. Hertzsch geht in Rente, bei Koppe erklärte der OB seine Zuversicht, ihn bald „wiederzusehen“. Mit anderen Worten: Auf dessen Stelle hätte sich gar niemand bewerben brauchen, da ohnehin feststeht, wen die „Verantwortungsgemeinschaft“ aus FDP, CDU; Grünen und SPD wählen wird. Das so deutlich vor aller Öffentlichkeit auszusprechen, ist Chuzpe.

In der Fragestunde erfährt man, dass mit einem Baubeginn an der Ortsumgehungsstraße für Isserstedt nicht vor 2030 zu rechnen ist.

Die Zukunft der Sprachkitas, die durch extra Personal den Spracherwerb fördern sollen, steht in den Sternen. 18 von 72 Jenaer Kitas werden noch gefördert. Da die Personalkosten gestiegen sind, nicht aber die Förderung, haben sich einige Kitas aus dem Programm zurückgezogen. Seit 2016 wurde das Programm vom Bund, seit 2023 vom Land im Rahmen des Gute-Kita-Gesetzes gefördert. Die Förderung läuft aus. Im Städtischen Haushalt sind keine Mittel für die Fortsetzung geplant, weil Kitas in die Verantwortung des Landes fallen. Die Stadt, sagt Dezernent Hertzsch, werde sich weiterhin bemühen.

Meine Anfrage zur Ausdünnung des Bustaktes in Lützeroda steht zu weit hinten auf der Tagesordnung und kommt nicht mehr dran. Ich beantrage eine schriftliche Antwort.

8. Beschlussvorlage Oberbürgermeister – Überführung der Honorarverträge in Festanstellungen an der Musik und Kunstschule (MKS) Jena  (24/0061-BV)

Hier hat der Gesetzgeber für Klarheit und Zeitdruck gesorgt – ab 01.09.2024 ist eine direkte Anstellung erforderlich. Es sollen nur größere Posten an Arbeitszeit vergeben werden; Deshalb werden nicht alle Honorarkräfte angestellt werden. Eine Einschränkung des Angebotes soll es aber nicht geben.

Die Mehrkosten liegen bei 450.000 € pro Jahr, 2024 anteilig. Das ist ein Vorgriff auf den Haushalt und die Zuschussvereinbarung und also ein bisschen unanständig, aber etwas Besseres ist keinem eingefallen.

Obwohl alle meinen, man habe das Problem gut gelöst, muss das jeder noch einmal mit unterschiedlichen Nuancen betonen.

Einstimmig angenommen.

9. Beschlussvorlage Oberbürgermeister – Satzung zur Änderung der Hauptsatzung  der Stadt Jena (24/0017-BV)

Der eine Teil der Änderung ist eine gesetzbedingte Formalie, der andere heikel. Die wichtigste Änderung betrifft genau ein Wort: Statt dreier soll es nach dem Willen des OB künftig 4 hauptamtliche Dezernenten geben, weil die Verwaltung wegen sich überlappender Krisen überlastet sei. Das Dezernat 4 (Soziales, Bildung) sei außerdem stetig gewachsen. Man darf nicht vermuten, dass das zusätzliche Dezernat vor allem dem Zusammennageln der Vierparteien-Nichtkoalition dienen könnte. Ganz gewiss nicht. Die Änderung kostet laut Presse 204.000 € pro Jahr.

Die Linke beantragt stattdessen, die Zahl der Hauptamtlichen bei 3 zu belassen und stattdessen die bereits in der Hauptsatzung verankerte Möglichkeit zweier ehrenamtlicher Beigeordneter zu nutzen. Jens Thomas trägt das als Fraktionsvorsitzender vor (der Text stammt von der Piratin). Das würde die überlasteten Dezernenten auch entlasten. Er kritisiert das intransparente Verfahren – die Vorlage gab es genau einen Tag vor der Sitzung des Hauptausschusses, und der lehnte eine öffentliche Debatte über die Neuerung ab. Wegen des Änderungsantrages ist diese freilich unvermeidlich. Er führt eine Reihe von Städten an, in denen die stärkste Fraktion, obwohl in Opposition, trotzdem Dezernenten stellt. Erfurt zum Beispiel.

Heiko Knopf (Grüne) findet die BV gut, ärgert sich aber über den Änderungsantrag.  Er findet Kultur und Bildung so wichtig, dass man das nicht mit einem ehrenamtlichen Beigeordneten abdecken könnte. Die Bildung soll laut Änderungsantrag allerdings im hauptamtlichen Dezernat 4 bleiben. Er beschwert sich, dass es für die vier ausgeschriebenen Stellen auch zwei Bewerbungen von Linken gibt, und nennt das vermessen.

Denny Jankowski (AfD) kritisiert, dass man zwei der Stellen erst zum Februar besetzen möchte. Das gehe nicht mit der Argumentation der Überlastung zusammen.

Alexis Taeger (FDP) meint, man müsste das als Chance sehen. Er meint, man könnte mit ehrenamtlichen Dezernenten keine Entlastung schaffen.

Guntram Wothly (CDU) erklärt, sie würden der Vorlage zustimmen. Er bringt den Stadtentwicklungsausschuss als Beispiel für die übermäßige Belastung der Dezernenten, weil der ja so lange in den Sitzungen anwesend sein müsste – was von den Ausschussmitgliedern rein ehrenamtlich geleistet wird. Falls man noch nicht in Rente ist, zusätzlich zu normaler Arbeit. Er meint, es ginge darum, effizienter zu arbeiten.

Jens Thomas verweist darauf, dass die Ausschreibungszeitraum für die Dezernentenstellen vom 22.07 bis 10.08. war – vor der Änderung der Hautsatzung. Die Fraktion sei auch gar nicht so vermessen, zwei Stellen haben zu wollen. Mit einer sei man durchaus zufrieden.

Ich erkläre Herrn Knopf, dass sich auf Ausschreibungen jeder bewerben kann, egal welcher Partei er nahesteht – und dass die Grünen zur letzten Dezernentenwahl vor sechs Jahren für jeden Posten einen eigenen Kandidaten hatten und sich dabei kein bisschen komisch vorkamen.

Abstimmung des Änderungsantrages: nur die Linke stimmt zu, es gibt einige Enthaltungen, die Verantwortungsgemeinschaft  stimmt natürlich dagegen.

Abstimmung BV: 28/12/4 angenommen.

Damit ist klar: Die Stadt wird einen weiteren gutdotierten Posten bekommen, damit die Verantwortungsgemeinschaft gemeinsam Verantwortung übernehmen kann. Was sonst.

Danach folgt eine Reihe von Gremienbesetzungen. Wo die Sitzverteilung quotiert ist, läuft das konfliktfrei, und auch um den Posten in der Jury für den Preis für Zivilcourage gibt es keine Drängelei. Bei allem anderen aber schon.

Für Aufsichtsräte und Beiräte gibt es mal 3, mal 6 und mal 7 Sitze – also nicht genügend, um jede Fraktion vertreten zu haben. In diesem Fall wird gewählt. Zudem haben sich die Fraktionen der Verantwortungsgemeinschaft  abgesprochen und schicken zum Teil zwei Kandidaten ins Rennen. Damit gelingt es ihnen, die größte Fraktion des Stadtrates – Die Linke – aus den meisten Gremien herauszuwählen. Sogar aus dem Bäderbeirat. Das ist formal möglich, es widerspricht nur den demokratischen Gepflogenheiten. Und es macht klar, dass all das Gelaber über konstruktive Zusammenarbeit nicht so gemeint war. Ganz offensichtlich wäre es den vereinten Truppen des Oberbürgermeisters am liebsten, wenn die Opposition gleich zu Hause bliebe, statt im Stadtrat zu stören.

Im nichtöffentlichen Teil geht es um die Berufung eines Rechnungsprüfers, eine Personalie, einen Grundstücksverkauf und die Vergabe eines Auftrages für die Ausrüstung der Schulen mit digitaler Technik. All das wird recht einmütig beschlossen.

Zum Schluss gibt es noch drei nichtöffentliche Protokolle vom Dezember 2023 und Januar 2024 zur Bestätigung. Dafür, dass die in der jeweils folgenden Sitzung vorliegen sollen, ist das doch beinahe pünktlich.

Dann ist 22:30 Uhr, und danach dürfen ohnehin keine Beschlüsse mehr gefasst werden.

Eins ist klar: Wir erleben eine neue Auflage der Betonkoalition. Diesmal tut man nicht einmal so, als wollte man konstruktiv und fair arbeiten. Ein Gremium ohne Beteiligung der Opposition ist einfach pflegeleichter. Für je einen Dezernentenposten sorgen die vereinten Verantwortungsträger für störungsfreies Durchregieren. Das darf man ihnen aber so nicht sagen. Dann reagieren sie verschnupft.